Oh je, das war etwas, was ich eigentlich nicht hätte sehen wollen. Siebzig Wale lagen vor uns im Watt und konnten ohne Hilfe nicht mehr ins offene Meer zurück schwimmen. Ein schrecklicher Anblick, der wohl jedem das Herz hätte schwer werden lassen.
Nur einen Tag zuvor hatten wir von Freunden in Takaka über die tückische Bucht am Farewell Spit erfahren, in der jedes Jahr ein-, zweimal Pilotwale ihre Orientierung verlieren, von der Ebbe überrascht werden und auf dem Trockenen stranden. Dass dies schon wieder passiert war, als wir noch darüber sprachen, wussten wir ...
...aber nicht. Samstagmorgen legten wir noch gemütlich einen Zwischenstopp in dem Café meiner Freunde in Takaka ein, bevor wir unseren Tagesausflug in den Abel Tasman Park starten wollten. Du musst wissen, dieser Park mit seinen Traumstränden ist laut der Mehrheit der Neuseeländer und Touristen einer der allerschönsten Nationalparks. Da wollten wir hin - auch wenn der Himmel gerade an diesem Tag wolkenverhangen war!
Als wir gerade durch die Tür des Cafés kamen, erzählte uns Ralf gleich von dem whale stranding. Ich schaute ihn ungläubig an, aber er zeigte uns die Nachricht auf seinem Smartphone. Kein Zweifel. Am Tag zuvor waren um die zweihundert Wale gestrandet, von denen es 130 wieder in die Weiten des Meeres geschafft hatten. Das Drama hätte also vorüber sein können, aber leider schwammen siebzig von ihnen wieder in die Bucht zurück und strandeten ein weiteres Mal als die Ebbe einsetzte. "Oh, nein!" habe ich nur laut gestöhnt. Ulla rief uns vom Tresen zu, dass ab Mittag noch Freiwillige gebraucht würden. Für Jana und mich stand gleich fest, dass wir helfen wollten. Keine Frage, die Traumstrände waren nicht so wichtig!
Schnell fuhren wir noch einmal zu unseren Gastgeben nach Hause, um Eimer und warme Kleidung zu holen, dann ging es Richung Farewell Spit. Und ich bin wirklich schnell gefahren, zu schnell. Ein Polizist stoppte mich auf dem Weg, und mir wurde in der Magengegend etwas flau. Ich erklärte ihm, dass wir auf dem Weg waren Wale zu retten, und dass ich in meiner Aufregung leider, leider nicht auf meine Fahrtgeschwindigkeit geachtet hätte. Er sah die Eimer auf der Rückbank und hatte ein zwinkerndes Einsehen mit mir, denn ich war ja für einen guten Zweck unterwegs! Glück gehabt.
Ich war wirklich recht aufgeregt. Zum einen wusste ich nicht, wie ich auf siebzig gestrandete Wale reagieren würde. Zum anderen hatte ich ja noch nie einem Wahl in seinem Überlebenskampf geholfen, und ich wollte nichts falsch machen.
So gesellten wir uns erst einmal zu anderen Freiwilligen, die gerade eine Einführung in die richtigen Hilfsmaßnahmen bekamen. Hier die wichtigsten Punkte, falls du mal in solch eine Situation kommen solltest:
Mit dem Wissen trotteten wir zielstrebig los, aber je mehr wir uns den leblos daliegenden Riesen näherten, desto beklemmender
fühlte ich mich. Es waren so schrecklich viele. Nur gut, dass auch viele freiwillige Helfer vor Ort waren. Da in Neuseeland oft Wale stranden, sind die Hilfsaktionen sehr gut
organisiert, und neben solch ahnungslosen Helfen wie wir waren Profis da, die uns freundlich und kompetent zur Seite standen. Sie hatten die Wale auch längst mit Bettlaken bedeckt, um sie so vor
den Sonnenstrahlen zu schützen. Zum Glück war der Himmel bedeckt (!), aber die starke Sonne des Vortages hatte allen Walen böse Hautverletzungen beschert.
Jana und ich gingen zu einem Wal und fingen an zu gießen und zu gießen. Zwischendurch gruben wir neue Gräben, damit erfrischenderes Wasser in die Eimer kam. Jana schaute immer, dass die Flipper frei lagen. Irgendwann lag Nelly, so hatte ich sie genannt, zur sehr auf der Seite. Wir wuchteten sie also so sanft wie möglich zur Mitte hin und stützten die Flanke mit Sand ab. Der Profi, der uns dabei half, achtete genau auf Nellys Atemzüge und meinte: "She's doing well! Good job!" Es ginge ihr gut, und wir hätten gute Arbeit geleistet. Da waren wir natürlich glücklich und auch ein bisschen stolz. Fünf Stunden waren wir bei Nelly, und wenn die Situation nicht so elend für sie gewesen wäre, hätte sie vielleicht ein wenig Deutsch gelernt: Sie war in der Fürsorge von fünf deutschen Touristen.
Nur schweren Herzen überließen wir Nelly den Helfern in Neoprenanzügen, die die Arbeit beim Einsetzen der Flut übernahmen. Ohne den schützenden Anzug wurde es einfach zu kalt im Wasser, und wir mussten gehen. Wir sagten Nelly "Auf Wiedersehen" und wünschten ihr alles Gute. Beim Weggehen blickten wir uns immer wieder um, und als die herbeigesehnte Flut ihren Körper umschloss, wussten wir, dass sie es schaffen würde!
Nachdem wir uns mit einem Tee erwärmt hatten, machten wir uns wieder auf nach Takaka. Hinter uns lagen sehr bewegende Stunden. Was mich besonders berührt hatte, war natürlich die Not der Tiere. Aber auch die vielen Menschen, die ihre Zeit und Kraft gaben um zu helfen und in diesem Ziel vereint waren, beeindruckten mich. Wenn das doch öfter passieren würde!
Als wir am Abend erfuhren, dass es fast alle Wale geschafft hatten, konnten wir nach einer leckeren Pizza beruhigt schlafen gehen.
Als ich im Bett lag war das schwere Schnauben von
Nelly immer noch in meinen Ohren, und ich spürte ihre feste, gummiartige Haut auf meiner Handfläche. Ich fragte mich, wo
sie und ihre Walfamilie wohl gerade durch das Wasser gleiten würden. Hoffentlich weit weg von der Küste!
Am nächsten Tag sprangen wir selbst übrigens noch im Abel Tasman Park in Wasser, aber mehr davon beim nächsten Eintrag!
Auf zur nächsten Station!