Ich stand mit meinen Füßen im Lago Titicaca. Ja! Ja! Ja! Einer meiner Kindheitsträume ging in diesem Moment in Erfüllung. Ich war da, und der höchste schiffbare Binnensee der Welt lag vor mir! Yippie! Dass meine weiteren Pläne am Titikakasee ins Wasser fielen beziehungsweise verweht wurden, war dann nicht so schlimm.
Gegen Nachmittag war ich in der Stadt Copacobana am Titikakasee angekommen und hätte mich von dort gleich zur Isla del Sol (Sonneninsel) übersetzen lassen können. „Ach, ne, eins nach dem anderen. Erst gucke ich mir das Städtchen an und morgen früh geht’s auf die Insel.“ Pustekuchen. In der Nacht war ein starker Wind aufgekommen, die Schiffe durften nicht übersetzen. Der Wind ließ auch am nächsten Tag einfach nicht nach, und die Wettervorhersage für die kommenden Tage war auch nicht besser. Ich hatte keine Geduld länger zu warten. Heute denke ich: „Hättest doch noch ein, zwei Tage da bleiben können... .“ Aber damals ging das irgendwie nicht, mir juckten die Füße. Also: Keine Isla de Sol.
Als Tourist "muss" man auf die Isla des Sol fahren, denn die Aymará und Quechua sehen diese Insel als den Ursprung ihrer Schöpfungsgeschichte an. Die Sonne und die ersten Inkas sollen genau dort zum ersten Mal erschienen sein. Heute kann man Ruinen aus der Inkazeit sehen und nördlich der Insel, acht Meter unter der Wasseroberfläche, fand man Reste von einem Tempel und einige Goldgegenstände. Ein Atlantis aus der Inkazeit??? Das alles blieb mir verborgen ... aber vielleicht könnte ich ja noch einmal hin!
Ah, bevor ich es vergesse, hier noch die Übersetzung des Wortes „Titikakasee“: Der-Fels-auf-dem-der-Puma-wohnt-See. Bueno, Titikakasee ist da etwas griffiger.
Zweieinhalb Tage blieb ich in Copacabana, dem katholischen Pilgerort von Bolivianern und Peruanern schlechthin. Es zieht die Gläubigen zur Marienstatue Camarín de la Virgen de Candelaria, die Wunder vollbringen soll. Sie steht in einer mächtigen weißen Kathedrale mitten im Ort, und Tausende von Menschen kommen dorthin, um Wunder zu erbitten, ihre Kinder taufen oder ihre Fahrzeuge segnen zu lassen.
Am Sonntag wollte ich mir das Spektakel der Autosegnungen nicht entgehen lassen. Meine Güte, das kann man sich in Nordeuropa nicht vorstellen: die
Fahrzeuge sind mit Blumen bunt geschmückt, die ganze Familie steht mit einer kleinen Ausgabe der Virgin um das Auto, ein Mönch besprenkelt den Motor mit Weihwasser aus einem Eimer und spricht
dabei ein Gebet. Knaller werden angezündet und Sektflaschenkorken fliegen durch die Luft. Und nach einem Glas Sekt wird das Auto fortgefahren. Kein Alkohol am Steuer wäre effektiver gegen die
vielen Unfälle, denke ich.
Am nächsten Tag fuhr ich am Titikakasee entlang nach Peru - mit einem Bus, der zuvor bestimmt auch gesegnet worden war.
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