„Eine Fahrkarte nach Uyuni, por favor.“ Mit dem Zug ging es zum größten Salzsee der Welt: die Salar de Uyuni. Wir
fuhren an kleinen Orten und Flamingos vorbei, die in einem See, dem Lago Poopó, herumstaksten. An meinen Augen zogen Berge vorüber, die mit Gras bewachsen waren und sanft im Abendlicht
unter dem Vollmond zu schlummern schienen. Irgendwann konnte ich draußen nicht mehr viel erkennen, das Zuckeln des Zuges hatte mich schläfrig gemacht und, meinen kleinen Rucksack an mich
gedrückt, schlummerte auch ich ein und wurde erst wieder wach, als der Zug laut quietschend in Uyuni hielt. Der ganze Ort muss von dem Krach eigentlich wach geworden sein.
Früher war Uyuni ein Dorf am Rande des Salzsees, heute ist es ein wachsendes Städtchen und beherbergt viele, viele Touristen. Alle sind dort, um eine Tour in den „See“ zu buchen oder sich von eben dieser zu erholen. Die Straßen sind gesäumt von Reiseagenturen, die versprechen, alle Wünsche möglich zu machen. Todo es possible.
Ich hangelte mich von einem Reisebüro zum nächsten, um wirklich die beste Tour zu buchen. Alle hatten so ziemlich das gleiche Programm und die gleichen Preise. Für welche sollte ich mich jetzt entscheiden? Nach drei Stunden sagte ich dann etwas entnervt bei der letzten Agentur einfach zu, die Frau wirkte ehrlich und kompetent. Eine Fehleinschätzung, wie sich schon bald herausstellte.
Nach den Reisevorbereitungen ging ich erst einmal über den Markt, stärkte mich an einer Portion Kartoffeln mit Rindfleisch und kam beim Essen mit zwei Verkäuferinnen ins Gespräch. Die ältere der beiden Frauen (so 50 Jahre alt, denke ich) erzählte mir, dass sie immer in Uyuni gelebt hätte, aber noch nie mitten im Salzsee gewesen wäre.
„Komisch“, dachte ich. Menschen aus der ganzen Welt fahren dorthin und für die meisten ist es DAS Ereignis in Bolivien. Für die Einheimischen ist diese riesige Salzfläche einfach da und Grundlage ihres bescheidenen Lebens: zum einen durch das Geld der Touristenströme, zum anderen durch das Salz, das in harter Arbeit gewonnen wird.
Für 1000 Kilo Salz bekommen die Arbeiter nur neun Bolivianos (= 1 €). Der Preis, den ihr Körper dafür bezahlt, ist hoch: viele Arbeiter erblinden durch das gleißende Sonnenlicht, und das Salz verätzt ihre Hände.
Die beiden Bolivianerinnen berichteten mir außerdem noch über einen Autounfall auf dem Salzsee, bei dem tags zuvor ein Tourist ums Leben gekommen wäre. ¡Oh! ¿Por qué? Warum? Der Jeep hätte sich überschlagen, was des Öfteren wegen überhöhter Geschwindigkeit und der Unerfahrenheit der Fahrer geschehen würde. Au Backe, das konnte ja was werden.
Zurück zu meiner Tour. Neben Salzsee, Geysiren und farbenprächtigen Seen wurden mir zwei Extras gegen einen Aufpreis versprochen: Mumien und eine Grabstätte. Froh gestimmt traf sich die Fahrgemeinschaft morgens vor dem Reisebüro: ein Pärchen aus Paris, ein weiteres aus London, ein Italiener und ich. Der Fahrer und seine Frau fehlten noch, da der Jeep noch repariert werden musste. Na prima. Dann waren sie da, der Führerschein aber nicht. Ruhig bleiben. Etwas unruhig wurden wir allerdings, als wir merkten, dass wir drei unterschiedliche Touren gebucht hatten, für die nächsten drei Tage aber im selben Jeep sitzen würden. Wir blickten uns an, und mit großen Fragezeichen auf unseren Gesichtern ging es nach anderthalb Stunden Warten endlich „in“ den Salzsee.
Unten: weiß, weiß, weiß. Oben: blau, blau, blau. Das Szenario, das sich vor unseren Augen auftat, war die Wucht. So eine Landschaft hatte ich vorher noch nicht gesehen. Unendlichkeit. Eine andere Zeit. Ein fremder Planet. Märchenlandschaft. Wie die Antarktis. Das waren Gedankensplitter in meinem Kopf. Eine immense Fläche voll Salz.
Vor 40.000 Jahren gab es an der Stelle, wo ich stand, den großen Ur-See Minchin, der dann über die Jahrtausende hinweg austrocknete. Überbleibsel sind zwei kleine Seen (durch den einen, Lago Poopó, war ich mit dem Zug gefahren) und zwei Salzseen oder Salzwüsten, wie sie auch genannt werden. Die eine davon ist die Salar de Uyuni, die einen Schatz mit ungefähr 10 Milliarden Tonnen Salz hütet.
Wie es abgebaut wird, konnte ich sehen: das Salz wird per Hand losgeschlagen, zu Haufen zusammentragen und mit LKWs abtransportiert. Eine verdammt mühselige Arbeit.
Mitten im See liegt die „Insel“ Incahuasi, die mit ihren Kakteen wie eine Oase aussieht. In der Salar können kaum Pflanzen und Tiere überleben, denn tagsüber klettert die Temperatur in den meisten Monaten auf über 30 Grad und nachts kann es bis zu minus 13 Grad kalt werden. Und dazu kommt noch ein eis-eis-eisiger Wind. Die Kakteen sind also wahrhafte Überlebenskünstler, die sogar ein stolzes Alter erreichen. Ein 150 Zentimeter hoher Kaktus ist ca. 150 Jahre alt, das ergibt pro Jahr ungefähr einen Zentimeter Wachstum.
Eine weitere, allerdings von Menschenhand geschaffene Kunst ist auf der Insel zu bestaunen: Lamas aus Salz, ein Mini-Big-Ben aus Salz, Tische und Stühle aus Salz. Unsere erste Übernachtung war ein ganzes Hotel aus Salz (Wasserleitungen und so natürlich nicht). Wasserbetten kannte ich schon vorher, aber Salzbetten? Cool.
Laut meines Tourplanes sollte es vor unserer Ankunft im Salzhotel zu den Mumien, aber der Fahrer wollte dort nicht hinfahren. Wir wären eh’ schon in Zeitverzug (wegen Autoreparatur und fehlendem Führerschein), und es würde dunkel werden. Und außerdem, die Anweisung zu den Mumien zu fahren, hätte er sowieso nicht bekommen. Ich konnte es nicht fassen!
Wir machten noch einen kurzen, ausgesprochen kurzen Stopp bei der Gruta de las Galaxias (Grotte der Galaxien), die im Angebotspaket des Pariser Pärchens war und auf dem Weg lag. Dort angekommen, konnten wir wunderschön versteinerte Algen bestaunen, die aus der Zeit des Ursees stammen und damit vielleicht 25.000 Jahre alt sind. Was für ein Alter! Vor dem Eingang standen etwas jüngere, versteinerte Kakteen. Auch faszinierend. Im zweiten Stock der Grotte wurden wir von hohlen Totenschädeln angestiert, die zu einer Grabstätte aus der Zeit vor den Inkas gehörten. Erdgeschichte und Menschheitsgeschichte waren hier zum Greifen nah.
Nach einer kalten Nacht wurde der zweite Tag vom Wetter her ungemütlich, denn es fing an zu schneien und zu stürmen. Das Klima schlug Kapriolen. Im April gibt es normalerweise keinen Niederschlag, und laut unseres Fahrers hatte die Wüste vier Jahre lang kein Wasser in irgendeiner Form gesehen – wir waren beim ersten Schneefall dabei.
Dumm gelaufen, denn so haben wir die Laguna Colorada (die Bunte Lagune) nur ganz leicht rot schimmern gesehen, der Lago Verde (der Grüne See) war grau wie eine Feldmaus und der mächtige Kegel des Vulkans Lincancabur hatte es sich am dritten Tour-Tag hinter einer Wolke gemütlich gemacht. Nur die heißen Geysire ließen sich nicht klein kriegen und schossen in die Höhe – aber da wir im morgendlichen Dunkel dort waren, konnten wir sie nur erahnen. Ein Bad in einer heißen Quelle war eine kleine Abwechslung, denn eigentlich saßen wir zwei Tage lang einfach nur stundenlang im Jeep und haben uns eine diesige Landschaft angeschaut – Beine angezogen wie beim Bobfahren und durchgerüttelt wie ein Presslufthammer.
Zum Glück haben wir uns in der Gruppe gut verstanden. Bei den Kartenspielen am Abend habe ich vor Lachen manchmal keine Luft mehr bekommen und als wir schlotternd mit Pudelmütze und Handschuhen in unseren Betten lagen, konnten wir auch darüber Scherze machen.
Bueno, im Vergleich zu anderen Touristen hatten wir weniger Glück, aber wir hatten Spaß – und sind wieder heil aus dem Salzsee aufgetaucht.
Zurück in Uyuni haben wir sechs aus dem Jeep zusammen Pizza gegessen und sind am nächsten Tag gemeinsam nach Potosí gefahren. Als wir unseren Bus gesehen haben, haben wir ein weiteres Mal über unser Pech gelacht: es war eine alte Klapperkiste. Daneben stand ein nigelnagelneuer Bus mit Klimaanlage, der für denselben Preis um dieselbe Uhrzeit in kürzerer Zeit nach Potosí fuhr.
Auf zur nächsten Station!
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