Costa Rica wird manchmal das „Land des ewigen Sommers“ genannt, aber danach sieht das Foto gar nicht aus, oder? Auf fast 4.000 Metern Höhe herrscht eben selbst in den Tropen windige Kälte, und der Regen verwandelt sich schon mal in Schnee. So wurde auf dem Chirripó auch die niedrigste Temperatur in Costa Rica gemessen: 9 Grad minus. Der Chirrpó und das Talamanca-Gebirge sind kein Skigebiet, aber mit Flip-Flops, Sonnentop und Boxershorts kommt man hier auf alle Fälle nicht weit.
Mit drei Freunden – Silke, Marta und Enrique - wollte ich den Berggipfel erklimmen. Wochen bevor es losging, hatte Silke uns bei der Parkleitung
angemeldet, denn die Eintrittskarten sind heiß begehrt. Pro Tag dürffen nur 60 Personen den Weg hoch- oder runtergehen.
Am Fuße des Berges übernachteten wir in dem Örtchen San Gerardo de Rivas in einer kleinen Pension und nach einem herzhaften gallo pinto Frühstück stapften wir am nächsten Morgen um 5 Uhr dick eingemummelt mit Stirnlampe ausgerüstet los. Wir gingen schön langsam im Gänsemarsch, denn der Weg war sehr matschig und dementsprechend rutschig.
Das war anstrengend, aber da die Morgenstimmung so wunderschön war, erinnere ich mich gern an diesen Aufstieg. Als es langsam hell wurde, waren wir über einer dichten Wolkendecke, die erst blau-violett und dann golden angestrahlt wurde. Das übrige Costa Rica lag darunter noch verschlafen im Morgengrauen. Wir machten Pause und genossen das Schauspiel der aufgehenden Sonne. Es war wie rinr Theateraufführung.
Weiter ging es durch dicht bewachsene Wälder. Die Bäume trugen unzählig viele barbas de viejos, zu deutsch „Bärte alter Männer“, die hellgrün in luftiger Höhe baumeteln und mit dem Wind schwingten. Als Nebel aufkam, wurde die Stimmung wunderbar gespenstisch. Hier und da bewegten sich Blätter im Wind, ein Knistern im Unterholz oder das Kreischen eines Vogel war zu hören, und die Bärte wirkten wie geheimnisvolle Schleier.
Eingehüllt in diese Atmosphäre blickten meine Augen aber konzentriert auf den Weg, denn dieser war steinig, uneben und immer wieder lugten Baumwurzeln hervor - perfekte Stolperfallen.
Schritt für Schritt arbeiteten wir uns langsam in die Höhe, und je weiter wir hinaufkamen, desto weiter konnten wir Richtung Pazifik schauen: Berge, Hügel und Wälder so weit das Auge reichte. Der Wald lichtete sich immer stärker, und die vom Wind gepeinigten, knorrigen Bäume schmiegten sich an den Berg.
Wir setzten unseren Weg durch Heidekraut fort, hier und da lugten nah am Boden kleine Blumen hervor. Die strahlend grünen, schwülen Tropenwälder oder Palmenstrände Costa Ricas schienen Lichtjahre entfernt zu sein!
Um uns herum zeigte sich eine raue Bergwelt, die in der Zeit vor der Eroberung der Europäer nur von den indianischen Priestern
erklommen werden durfte, da Berge als heilig galten. Wer es trotzdem tat, dem drohte die Todesstrafe. Heute kann hier jeder hin, der sich an die Regeln zum Schutz der Natur hält. Das heißt:
keinen Müll hinterlassen, keine Pflanzen rausrupfen und keine Tiere töten, fangen oder füttern.
Trotz vieler Pausen schafften wir es gerade vor einem heftigen Regenguss in die einfache Herberge. Schon während des Sonnenuntergangs wurde es bitterkalt, und ich hatte alles an, was ich in meinem Rucksack finden konnte. Nachdem wir unser Bettenlager bezogen hatten, wollte ich mich noch duschen. Darauf verzichtete ich aber lieber, denn der Wasserstrahl aus dem Rohr war so kalt und hart wie eine Messerklinge aus dem Gefrierschrank. Brrrrrr. Warm wurde mir erst bei einer Schale heißer Nudelsuppe in dem rustikalen Gemeinschaftsraum. Nach dem Abendessen kroch ich müde schnurstracks in meinen Schlafsack. In Nulkommanix schlief ich ein.
Am nächsten Morgen waren wir um sieben Uhr wieder startklar, und es ging zum letzten Aufstieg, denn der höchste Punkt lag ja noch vor uns. Entlang an den Crestones,
einer bizarren Felsformation, marschierten wir durch das sogenannte Hasental, dann durch das Tal der Seen, bevor wir zum Fotoshooting auf dem Gipfel ankamen. Geschafft! Wir
blickten von einem der höchsten Berge in Mittelamerika hinab. Weit sehen konnten wir an dem Tag allerdings nicht, da es sehr wolkig war. Schade.
Von meiner ersten Besteigung des Chirripó kam ich müde, dreckig, glücklich und stolz in San Gerardo de Rivas am frühen Nachmittag wieder an. Ich hatte mit meinen Freunden auf dem Dach Costa Ricas gestanden!
Der Norden ruft!
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