Nun erzähle ich von der Wanderung nach Mach Picchu. Ich fange mal mit den Teilnehmern an: ein belgisches und ein US-amerikanisches Pärchen, Vater und Sohn aus Israel, eine weitere Israelin, ein Engländer, zwei deutsche Frauen (eine davon war ich, die andere kam irgendwo aus Süddeutschland) und zwei peruanische Guides. Zusammen gingen wir auf Inkawegen durch die andinische Bergwelt nach Machu Pichu – dem mystischen Inka-Ort fernab in der Pampa.
Es sollte früh losgehen, und um 3:50 Uhr schnatterte mein Wecker wie eine Ente. Was hätte ich für ein Stündchen mehr Schlaf gegeben! Irgendwie bewegte ich mich aus dem Bett und saß eine Stunde später in einem Mini-Bus. Wir konnten aber nicht losfahren, denn das Pärchen aus den USA fehlte noch. Bueno, weder Fahrer noch Reiseleiter wussten so genau, wo es abgeholt werden musste. Die Suche nach der richtigen Unterkunft dauerte anderthalb Stunden und beinhaltete hektisches Telefonieren, in der Nachbarschaft Klingeln und fortwährendes Fluchen des Busfahrers. Währenddessen ging fast unbemerkt über den Bergzipfeln die Sonne in aller Ruhe auf.
Nach unserer Ankunft und einem herzhaften Frühstück an dem Startpunkt, stiefelten wir los. Heiho! Endlich die eigenen Beine spüren und Schritt für Schritt in die Natur eintauchen. Kuhfladen ausweichen, Steine kicken, Stöcke werfen, sich gegenseitig kennen lernen. Langsam und stetig ging es bergauf, und kurz vor dem Sonnenuntergang kamen wir bei unserem ersten Camp an.
Auf einer Wiese unterhalb des schneebedeckten Berges Salkantay standen große Zelte, und in die stellten wir unsere kleinen Zelte. Wie eine russische Puppe! Vor dem Abendessen ging ich noch ein bisschen spazieren und bestaunte den imposanten Salkantay. Ich fing aber schnell an zu frösteln - auf 3.900 m höher wird es abends richtig kalt!
Nach dem warmen Essen ging ich nur noch flott auf’s Plumpsklo, putzte meine Zähne mit klirrendkaltem Wasser und rein in den eisigen Schlafsack. "Mir wird warm, mir wird warm, mir wird warm, gleich wird mir warm, bestimmt wird mir geich warm...," redete ich mir selbst ein. Irgendwann wurde die Kälte zum Glück von der Müdigkeit übermannt, und ich schlief ein.
Am nächsten Morgen ging es wieder früh raus, diesmal war es fünf Uhr und kälter als kalt. Zu meiner Zufriedenheit wurde mein Körper beim Wandern recht schnell warm, und ich kam sogar ins Schwitzen, da es über einen Pass ziemlich steil bergauf ging. Immer mit dem Blick auf den schneebedeckten Salkantay ging es also erst einmal hoch und später dann logischer Weise wieder runter.
Die kargen Felsen und das Geröll verschwanden, es wurde immer grüner und grüner, aber auch regnerisch. Je weiter wir hinabwanderten, desto verträumter wurde die Umgebung. Über dem Weg hingen teilweise Äste mit farbfrohen Blumen, oder wir gingen durch verwunschene Buschtunnel. Ich ließ alles auf mich einwirken. Ich tauchte etwas in die Welt der Inkas ein und hatte das Gefühl, in ihren Spuren zu stapfen. Erstaunt war ich immer, wenn wir Treppenstufen der Inkas erklimmen mussten. Die Inkas waren kleine Menschen und ihre Beine in der Regel nicht so lang wie meine. Wieso um alles in der Welt haben sie so hoheTreppenstufen gebaut? Die Oberschenkelmuskeln der Inkas mussten stählern gewesen sein!
Entlang der Strecke standen immer mal wieder Versorgungshütten und wir konnten Cola, Plátanos, Schoki und so weiter kaufen. Eine dieser Hütten nannte sich shopping center - ein ziemlich großes Wort für einen Holzverschlag. Solche Streckenposten gab es auch bei den Inkas (ohne Cola!):
Die Inka-Könige herrschten über ein riesiges Reich, und um schnell Botschaften von einem Ort zum nächsten zu bringen, hatten sie ein Läufersystem eingerichtet. Ein Läufer lief 1,5 – 2km, dann kam er zu einer Versorgungsstelle, bei der er blieb. Ein anderer Läufer machte sich von dort auf, und so ging es weiter, bis die Nachricht ans Ziel gebracht worden ist. Ein schnelles und effektives System!
Wir waren nicht so schnell wie die Inkaläufer, kamen aber auch unserem Ziel näher. Auf unserem letzten Tagesmarsch hatten wir einen weiten Ausblick über die Anden unter einem strahlendblauen Himmel. Und ganz versteckt, erst beim zweiten Hinsehen, sah ich mitten im Nichts gelegen Machu Pichu.
Berge sind natürlich kein „Nichts“, aber es waren eben keine Straßen oder andere Siedlungen zu sehen. Ich sah Steinmauern, die sich um einen Hügel schängelten – verwinkelte, gerade, hohe, niedrige. Stille Zeugen aus einer vergangenen Welt. Der Anblick hatte etwas Mystisches. Wir machten eine Pause, und jeder blickte lange, in Gedanken versunken auf diese rätelhaten Ruinen.
An diesem Tag sollten wir es nicht mehr nach Machu Picchu schaffen. Wir schliefen in einem Hotel in dem Nachbarort Aguas Calientes und gingen früh ins Bett. Am nächsten Tag sollte es - Überraschung! - früh losgehen: 3:30 Uhr. Dies war keine Tour für Langschläfer! Das frühe Aufstehen hatte seinen Grund:
Machu Picchu ist eine Touristenattraktion und zu Spitzenzeiten kommen pro Tag einige Tausend Menschen dorthin. Auf dem Gelände gibt es einen weiteren Berg mit Inka-Ruinen: Huayna Picchu. Um ihn zu schützen, darf nur eine bestimmte Anzahl von Menschen täglich rauf. Diese heißbegehrten Tickets werden um 6 Uhr morgens am Eingang von Machu Picchi verteilt, und da muss man erst einmal hinkommen.
Von 4:10 bis 5:20 Uhr ging es also auf Inkatreppen steil bergan - nicht im Schlürfschritt sondern avanti, avanti! Oben angekommen war ich pitschnass geschwitzt, aber die Anstrengung hatte sich gelohnt: am 26. Mai 2010 war das Ticket 326 zum Huayna Pichu meins!
Einen Tag lang hatte ich nun Zeit, das Gelände zu erkunden. Die Augenblicke früh morgens und am späten Nachmittag waren die schönsten, da die Touristenströme um diese Zeiten geringer waren, und der Ort wieder „atmen“ konnte.
Wie haben die Inkas hier gelebt? Wer hat hier überhaupt gelebt? Oder eher: Wer durfte hier leben? Bis heute weiß man nicht, wozu dieser Ort gebaut wurde: als eine Art Inka-Kloster oder als ein Rückzugsort für den König? War hier letzte Stadt der Inkas? Keiner weiß es.
Es sind noch Mauern von Wohnhäusern zu sehen, die so intelligent gebaut waren, dass sie keinen Mörtel brauchten und sogar erdbebensicher waren. Dann gibt es noch Reste von Tempelanlagen und von einem Palast, Versammlungsplätze und die berühmten Terrassen für den Anbau von Mais und Kartoffeln. Dieses ausgeklügelte System von Gebäuden, Kanälen und Ackerflächen auf verschiedenen Ebenen ist bewundernswert und gehört seit 2007 zu den sieben neuen Weltwundern.
Lange Zeit wusste man von Machu Picchu übrigens gar nichts, denn es war von Bäumen, Sträuchern und Gras überwachsen. 1911 wurde es offiziell von einem US-amerikanischen Forscher wiederentdeckt, und die Ruinen wurden nach den Bergen der Umgebung benannt: Machu Picchu heißt "Alter Berg", Huayna Picchu "Junger Berg", ganz simpel.
Irgendwann gegen 16 Uhr musste ich mich von Machu Picchu losreißen, denn die Tore der sagenumwobenen Stätte wurden geschlossen. Für unsere Gruppe sollte es an dem Tag noch per Zug, Bulli und Bus zurück nach Cusco gehen. Dort kamen wir schließlich um 2:30 Uhr morgens an. Wieder keine Nachtruhe. Immerhin konnte ich lange schlafen, und als ich wieder putzmunter war, kribbelte es schon wieder in meinen Schuhen. Ich wollte noch mehr von den Inkas sehen und erfahren, und machte ich mich noch zu anderen Orten auf - diesmal aber nicht zu Fuß!
Auf zur nächsten Station!
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